Zeit der Weißnäherei

Die Zeit der Weißnäherei – Blüte der Weißnäherei

„Plauisch Nähen“ Der Frankenwald forderte seinen Menschen immer viel Fleiß und Mühen ab. Der wirtschaftliche Aufschwung im Mittelalter durch den Bergbau darf darüber nicht hinwegtäuschen. Genügsamkeit und Beharrungsvermögen sicherten den Bewohnern das Überleben über die Zeit. Perioden erkennbaren Wohlstands folgten harte Zeiten voller Entbehrungen.Mitte des 19. Jahrhunderts – der Bergbau kam endgültig zum Erliegen, die Handweberei, die seit alters her Verdienstmöglichkeiten bot, lag danieder. Große Not breitete sich schmerzlich in den Frankenwaldorten aus. Vor allem für Frauen gab es vor 150 Jahren nur wenig Möglichkeiten einer beruflichen Tätigkeit. Sie und die Kinder leisteten seit jeher ihren Beitrag für den Lebensunterhalt, verrichteten zu einem großen Teil die Arbeit in den kleinen Landwirtschaften und saßen in den Stuben der Hausweber eifrig am Spulrad. Das Elend in unserem Landstrich veranlasste die bayerische Staatsregierung,ein Komitee zu bilden, das sich mit Maßnahmen zur Arbeits- und damit zur Verdienstbeschaffung befasste. Als Ergebnis wird die Handstickerei nach Vorbild des sächsischen Vogtlands eingeführt. Durch die Vergabe von Heimarbeit, zuerst durch Plauener Firmen, fand die neue Beschäftigung, nach den Auftraggebern „Plauisch Nähen“ genannt, in den Orten unseres Landkreises bereitwillig Eingang. Vorteil dieser Tätigkeit: sie konnte daheim ausgeübt werden, bei geringem Materialaufwand und einfachsten Arbeitsvorrichtungen. Sie blieb aber die Heimarbeit mit hohem Fleiß bei sehr niedrigen Stücklöhnen.Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es keine selbständigen Stickereiunternehmen. Über Faktoren, Zwischenhändler, die für Rechnung auswärtiger, insbesondere Plauener, Berliner, Bielefelder, Münchner und Schweizer Firmen als Vermittler tätig waren, erfolgte der Austausch von Rohstoffen und Fertigprodukten. Die Bezahlung der Näherinnen erledigten die Faktoreien.

„Frankenwälder Art“

Die Handstickerei war im Frankenwald kein alteingesessenes Gewerbe wie die Weberei, sondern entstand aus der Notsituation großer Teile der hiesigen Bevölkerung um 1850. Der große Fleiß, die Vielseitigkeit der Arbeiten und ein weit entwickeltes „Know-how“ ließen allmählich ein blühendes Gewerbe entstehen, das vor dem 1. Weltkrieg etwa 10.000 Heimarbeiterinnen beschäftigte.Vor allem mit dem Bau der Bahnlinie Hof – Marxgrün 1886 erlebte dieses Gewerbe einen bedeutenden Aufschwung und wurde bodenständig. Faktoren, einzelne Stickerinnen und andere Unternehmer wurden nun selbständige Verleger, „Stickereifabrikanten“. Sie beschäftigen jetzt selbst die Musterzeichner, Zieherinnen und Stickerinnen.

Aus dem „Plauisch Nähen“ der Anfangszeit entwickelte sich die Handstickerei „Frankenwälder Art“ mit Hohlsaum, Wickel, Rennel, Plattstich, Nadelmalerei, Festonieren und Monogrammstickerei. Unterstützung erhielt das Gewerbe auch durch das Bayerische Kultusministerium, das nach 1900 durch Ausbildung einiger Sticklehrerinnen, Abhalten von Stickkursen und regelmäßigen Sommerlehrgängen für Heimstickerinnen die Verbreitung und Entwicklung dieser Handwerkskunst förderte. 1911 wird in Enchenreuth eine Stickereischule gegründet, die durch eine Berufsfortbildungsschule 1921 erweitert wird.

Hergestellt wurden vor allem Bett-, Leib- und Tischwäsche sowie bestickte Kleider und Blusen. Tischgedecke im Wert von mehreren tausend Mark waren vor dem 1. Weltkrieg keine Seltenheit. Bekannt ist die Bestellung des spanischen Königs um die Jahrhundertwende, bestehend aus Tischdecke und Servietten. Sieben Stickerinnen arbeiteten drei Jahre lang daran. Der Erlös der Faktorei 28.000 Mark.

Zeugnisse dieses Könnens lassen sich im Museum bestaunen. Eine Decke mit der Darstellung des Triumphwagens Kaiser Maximilians, nach einer Holzschnittserie Albrecht Dürers, wurde auf der Weltausstellung in Brüssel 1910 mit der Goldmedaille prämiert. Das Prunkstück dieser hochentwickelten Kunst ist zweifelsohne das „Nailaer Tafeltuch“, eine über acht Quadratmeter große handgestickte Tischdecke, die wohl einmalig auf der Welt ist. Sie zeigt 12 europäische Schlösser, Burgen und Festungsanlagen in feinster Nadelarbeit und wird daher auch „Schlösserdecke“ genannt.

Markt und Trend

Die Katastrophe des 1. Weltkriegs wirkt sich lähmend auf das blühende Gewerbe der Handstickerei aus. Rohstoffverknappung, Abwanderung der Stickerinnen in die Rüstungsindustrie führen zu einer empfindlichen Flaute. Die darauffolgende Inflation bläht die Produktion durch viele neue Verleger auf. Tausende von kleinen, nicht lebensfähigen Unternehmungen drängen auf den Markt, der bald gesättigt ist. Allein in Selbitz hatten sich über 500 Personen und Firmen als selbständige Stickereiunternehmen beim Gewerbeamt angemeldet. Diese Verhältnisse führten zu schwersten Missständen und brachten selbst gut fundierte und solide Firmen in arge Bedrängnis. Verminderte Kaufkraft des Binnenmarktes und veränderte Weltmarktverhältnisse lähmten die Geschäfte. Besonders die Exportmöglichkeiten nach Nordamerika, dem hauptsächlichsten Absatzgebiet oberfränkischer Handstickereien, wurden durch hohe Zollabgaben sehr erschwert. Starke Konkurrenz aus Norditalien, Tschechien, Belgien und China behauptete sich zunehmend in den angestammten Märkten. Die Weltwirtschaftskrise richtete endgültig viele Betriebe zu Grunde.

Einen letzten Boom erlebt die Weißnäherei Mitte der 30er Jahre. Im Einwohnerbuch von 1939 zählt Naila 20 Stickereifabrikanten, zehn Musterzeichner, einen Stickereifaktor und einen Stickereiausgeber. Darüber hinaus gibt es noch 36 Geschäfte, die nebenher Handstickereien anfertigen lassen und verkaufen. Die Stickerinnen selbst sind als Heimarbeiterinnen nicht aufgeführt.

Der 2. Weltkrieg leitete den totalen Zusammenbruch des Gewerbes ein. Die Welt ordnete und orientierte sich neu. Der Ostblock riegelte den Zugang zu den einschlägigen Fachschulen der Hand- und Maschinenstickerei, vor allem in Plauen, nachhaltig ab. Die Neuverteilung der Absatzmärkte, Billigkonkurrenz aus dem Ausland ließen dem Gewerbe keine Chance, wieder an erfolgreiche Zeiten anzuknüpfen. Neue Trends gaben die Richtung vor.

Automation statt Handarbeit

Nach dem 2. Weltkrieg war Initiative verlangt. Der Stickereiverband Naila bemühte sich das bodenständige Heimgewerbe durch modische Ausrichtung seiner Erzeugnisse wieder in Gang zu bringen. Zusätzlich war man gezwungen, auch die Konfektion der Damenunterwäsche und besonders der handgestickten Blusen selbst zu übernehmen. Eine neu zu errichtende Fachschule, die „Stickereifachschule Naila“, sollte dabei helfen. Mit dem Aufbau einer Klasse für Zeichnen, Mode und Schnittzeichnen wurde der erste Schritt 1949 gewagt. Das evangelische Kinderheim stellte vorerst die Räume zur Verfügung. Der Tatkraft von Frau Neppert-Böhland ist es zu verdanken, dass 1952 die moderne Schule in der Stengelstraße entstand. Aber schon in den 50er Jahren bringen ausländische Billigkonkurrenz, Modewandel und mangelndes heimisches Interesse an der Ausübung des Stickereigewerbes, wirtschaftliche Schwierigkeiten. Durch verstärkte Hinwendung zur Konfektion begegneten die Firmen diesem Trend. Auch die Schule, nunmehr „Staatliche Fachschule und Berufsfachschule für Bekleidung“, vollzieht diese Umstellung mit.

Mode und Geschmack gingen neue Wege. „Time is Money“ wurde zur Devise der Wirtschaft. Maschinen statt Handarbeit. Für die Handstickerei gab es weder Einkommen noch Auskommen.

1972 löst sich der Nailaer Handstickereiverband e.V. auf. Über 100 Jahre Weißnäherei in Naila hatten damit ihr offizielles Ende gefunden. Die Exponate des Nailaer Museums im Schusterhof halten die Erinnerung weiter aufrecht und dokumentieren die feine Kunst dieses Handwerks sowie den Fleiß seiner Leute.

 

Scroll to top